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Alltagsleben: Shell Shock
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Alltagsleben: Shell Shock
Bereits während des I. Weltkrieges waren Mediziner mit dem Phänomen konfrontiert, dass viele Soldaten, die aufgrund von Verletzungen in die Lazarette kamen, neben ihren physischen Schädigungen wie Schusswunden, Verbrennungen und durch Giftgas verursachte Schädigungen an Lunge und Herz-Kreislaufsystem, unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten, die in der medizinischen Literatur zunächst als sogenanntes Shell Shock Syndrome bekannt wurde.
Viele der Soldaten, insbesondere jene, die an den langhaltenden Grabenkriegen im Westen Frankreichs gedient hatten, litten unter zum Teil extremen psychischen Störungen, die synonym ebenfalls unter der damals in Wissenschaftskreisen viel zitierten Kriegshysterie in die Geschichte eingingen und die Soldaten oftmals noch Jahre und Jahrzehnte nach dem I. Weltkrieg massiv in ihrem täglichen Leben belasteten oder sie im schlimmsten Fall lebens- und arbeitsunfähig machten.
Aufgrund der schieren Gewalt des Erlebten - anhaltendes Trommelfeuer, Erfahrungen von Todesangst, Vergewaltigungen, Folter und Kriegsgefangenschaft, Tod und Verletzungen von Kameraden etc. - entwickelten viele der rückkehrenden Soldaten zum Teil sehr starke Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich neben psychischen Einschränkungen, auch physisch niederschlug.

Zu den typischen - nicht abschließenden - Symptomen zählten:

• Tremor,
der sich bei einigen auf den gesamten Körper niederschlug und dazu führte, dass Schwierigkeiten beim Gehen, Sprechen, Schlafen und Essen bestanden. Zum Teil war das unwillkürliche Zittern so stark ausgeprägt, dass die betreffende Person im Rollstuhl fixiert werden musste, oder es zu unwillkürlichen Entleerungen der Blase und des Magen-Darm-Trakts kam.

• Kopfschmerzen,
bis hin zu anhaltender Migräne und einer generellen Lichtempfindlichkeit.

• Verwirrung,
die es den Betroffenen und den Angehörigen oftmals schwer machte, einen normalen Alltag zu führen, da viele ebenfalls Symptome von Schizophrenie, dissoziativer Persönlichkeitsstörung, sowie Realitätswahrnehmung, Konzentrations- und Erinnerungsschwierigkeiten bis hin zu völliger Amnesie entwickelten.

• Stammeln, Stottern bis hin zu vollkommenem Sprachverlust

• Erschöpfung und chronische Müdigkeit

• Schlafstörungen

• Verlust eines, oder mehrerer Sinne, wie der Fähigkeit das Gleichgewicht zu halten, zu schmecken, oder zu fühlen. Dies konnte bis zur vollkommen Apathie und Dissoziation der Außenwelt führen.

• Angststörungen, sowie Depressionen, bis hin zu Verfolgungswahn und dem Anschein nach grundlos aggressivem Verhalten, das zuvor nicht von der Person bekannt war.

Diese Symptome traten oftmals in Begleitung mit Symptomen auf, die durch verschiedene physische Verletzungen der Soldaten, insbesondere Kopfverletzungen und Gehirntrauma verursacht waren, die nur unzureichend medizinisch behandelt werden konnten.
Insbesondere sämtliche schwerwiegende Verletzungen des Gehirns konnten mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln oftmals schlecht oder gar nicht diagnostiziert und adäquat behandelt werden, sodass viele Soldaten neben psychischen, auch unter extremen physischen Einschränkungen litten, die in ihren Symptomen und Auswirkungen Überschneidungen mit dem Shell Shock Syndrome aufwiesen und daher medizinisch damals unter dem Begriff zusammengefasst wurden.

Darunter zählten:

• Undeutliche Sprache und Sprachverlust
• Dramatische Persönlichkeitsänderungen, vor allem chronisch aggressive Persönlichkeitsstörungen
• Hormonelles Ungleichgewicht, bis hin zum Verlust der Fruchtbarkeit, Haarausfall, Gewichtszu- bzw. abnahme, Infektanfälligkeit
• Amnesie
• Lähmungen und Lähmungserscheinungen, bis hin zur Querschnittslähmung
• Hörschädigungen, Hörverlust und Tinnitus
• Sehstörungen, Sehverlust eines oder beider Augen
• Verlust intellektueller Fähigkeiten, etwa Schreiben, Rechnen oder einfacher motorischer Fähigkeiten, wie das Binden von Schuhen
• Verlust sozialer und emotionaler Fähigkeiten, wie das adäquate Deuten von Emotionen und Mimik im Gegenüber

Doch nicht allein Soldaten waren von den physischen und psychischen Auswirkungen des I. Weltkrieges betroffen. Auch einige Frauen, ältere Menschen und Kinder, die nicht explizit an der Front gekämpft hatten, waren zum Teil durch die Luftangriffe und Bombeneinschläge der Zeppelinkriege schwer traumatisiert.
Ein bekanntes Beispiel ist Elizabeth Huntley, die nach den deutschen Luftangriffen auf London 1916, so schwer traumatisiert war, dass sie ihre eigene Tochter in einer paranoid-schizophrenen Episode köpfte. Sie wurde 1917 zum Tod durch Erhängen verurteilt.

Medizinische Behandlungsmöglichkeiten

Sowohl Militärärzte, die das Shell Shock Syndrome als erstes beobachteten, als auch Psychiater und Neurologen, die nach dem I. Weltkrieg mit den Auswirkungen der schwer traumatisierten Soldaten konfrontiert waren, hatten nur unzureichende Möglichkeiten die Betroffenen zu behandeln.
Die Behandlungsmöglichkeiten bestanden in den weniger schwerwiegenden Fällen in der Rehabilitation der Betroffenen durch motorische Übungen, Massagen, orthopädische Eingriffe und dem Verschreiben von Beruhigungsmitteln; insbesondere Opiate und chemisch hergestellter Drogen, wie der sogenannten Soldatenschokolade, heute bekannt als Crystal Meth und Hypnose. Auch Elektroschocks wurden eingesetzt und waren insbesondere in Psychiatrien und Nervenheilanstalten oftmals die einzige Behandlung, die die Betroffenen erfuhren. Eine traumaspezifische Behandlung, wie sie heute in der Psychologie eingesetzt wird, gab es zur damaligen Zeit nicht.
Erst durch die Arbeiten des amerikanischen Arztes und Psychiater Thomas W. Salmon, der die Auswirkungen traumatisierender Ereignisse auf Soldaten untersuchte, wurde eine generelle Behandlungsempfehlung ausgesprochen, die sich aus den Prinzipien Unmittelbarkeit, die sofortige Behandlung nach Auftreten leichter Symptome, Nahbarkeit, das Behandeln der Soldaten in der Hörnähe der Frontlinien anstatt der Einweisung in ein Lazarett, Erwartbarkeit, der Aufbau positiver Erwartungen und Erfahrungen und Einfachheit der Behandlung, die sich aus Erholung und Schlaf zusammensetzte und den Soldaten, die an der Front kämpften helfen sollte, keine schwerwiegenden Trauma zu entwickeln. Die Erfolgsrate der so durchgeführten Behandlungen belief sich auf etwa 20% - 30% aller behandelten Soldaten.
Nach dem I. Weltkrieg und mit der Rückkehr der ehemaligen Soldaten wurde ersichtlich, dass die Masse an schwer traumatisierter Soldaten nur unzureichend von der Gesundheitsinfrastruktur aufgenommen werden konnte. Viele Betroffene erfuhren keine, oder nur eine zeitlich stark beschränkte medizinische Versorgung, die den Betroffenen keinen adäquaten Nutzen bot.
Gleichzeitig stellte die Rückkehr und der Verlust der gefestigten Strukturen innerhalb der Armee für viele der Soldaten einen solch enormen Bruch da, der ihre Symptome erst zum Ausbruch führte bzw. massiv verstärkte. Insbesondere der Wegbruch von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, war für viele Betroffene psychisch eine Katastrophe, da ihnen die Möglichkeit des Austausches mit anderen Betroffenen fehlte und daher zu den generellen Symptomen und Belastungsstörungen, noch Erfahrungen von Einsamkeit und Kontrollverlust hinzukamen.